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18/01 -"Bei uns tüftelt die technisch interessierte Avantgarde!"

Interview mit dem Leiter des Instituts für Telematik

Trier. Die Informations-Technologie greift tief in unser Leben ein. Systeme und Netze werden immer leistungsfähiger. Doch wer setzt die Möglichkeiten in nützliche Anwendungen um? Kreative Ideen und neue Konzepte sind gefragt. Forscher und Entwickler des jungen Instituts für Telematik aus Trier haben sich daran gemacht, künftige Erfordernisse und Wünsche frühzeitig zu erkennen und mit der Verwirklichung zu beginnen. Ihnen geht es um anwenderfreundliche und praxistaugliche Hightech-Lösungen auf dem Feld, wo Telekommunikation und Informatik miteinander verschmelzen. Im Interview äußert sich Professor Christoph Meinel (47), der Leiter von Deutschlands einziger Spitzenforschungseinrichtung fürs Internet, über Wissenschaftspolitik, Entwicklungen in der Informationstechnologie und die Zukunft seines Instituts.

Ihr Trierer Institut gilt als einmalig in Deutschland. Warum?

"Bis wir 1998 gegründet wurden, fehlte in Deutschlands Forschungslandschaft ein eigenständiges, größeres Institut, das sich zentral und umfassend mit den ganz neuen Fragen und Problemen rund um das Internet befasst. Wir arbeiten gemeinnützig, unabhängig und universitätsnah. Forschungslabore der Industrie hingegen sind heute auf den schnellen wirtschaftlichen Erfolg aus. Wir schauen unabhängig davon darauf, was den Anwendern umfassend nutzt, zum Beispiel in der Telemedizin. Außerdem sehen wir zu, dass sich offene Standards durchsetzen. Wenn zum Beispiel in der Telemedizin ein Siemens-Gerät mit einem Philipps-Gerät digitale Röntgen-Bilder austauschen kann, so hebt das letztlich die Gesamtqualität der Behandlung und senkt die Kosten für die Gesellschaft. Davon haben dann alle etwas."

Hatten Sie bei der Gründung Ihres Instituts ein Beispiel vor Augen?

"Ja, aber eher in den USA als in Deutschland. Uns hat niemand auf dem goldenen Tablett Finanzmittel angeboten. Wir mussten mit Hilfe einer Mixtur aus Finanzierungsquellen ein leistungsfähiges Institut aufbauen, das den hohen internationalen Forschungsansprüchen gerecht wird. Hier in Deutschland redet man zunächst über die Risiken einer Institutsgründung, über Beschäftigungsgarantien für Mitarbeiter, über das Beamtenrecht und Fragen der Nebenbeschäftigung. Drüben, in den USA, lässt man sich von einer guten Idee überzeugen. Wirtschaft und Privatleute beteiligen sich dann gern als Auftraggeber oder Förderer. Erst wenn die Idee langfristig trägt, wird die Institutionalisierung eingeleitet."

Solch eine Leitidee trägt aber ein Institut nicht ewig.

"Richtig. Ein Institut wird etwa 15 bis 20 Jahre lang von einer Leitidee getragen. Diese folgt - ähnlich wie bei Produkten für den Alltag - einem Lebenszyklus mit zunächst zunehmender und später dann wieder abnehmender Bedeutung. In Deutschland zeigt sich: Es fehlt uns an einer Kultur des Schließens von Einrichtungen. Viele wissenschaftliche Institute überleben sich einfach selbst. Aber Dauerbeschäftigungsgarantien, staatliche Regelungen und institutionelle Zwänge halten sie am Leben. Das raubt der Gesellschaft ein großes Potential, das viel besser bei der Etablierung junger Institute eingesetzt werden könnte, die sich von neuen Ideen leiten lassen."

Sie sind mit Ihrem jungen Institut in einer stürmischen Wachstumsphase. Wie schaffen Sie es trotz des eklatanten Mangels an IT-Fachkräften, hervorragende Mitarbeiter in die Provinz zu holen?

"Trier ist zwar nicht gerade der Nabel der Informationstechnologie-Welt, aber zu uns kommen besonders begabte und fähige Uni-Absolventen, die mit dem Studium vergleichsweise schnell fertig geworden sind. Sie wollen den Zeitvorsprung nutzen, um bei uns noch tiefer in die Welt der Forschung einzudringen und zu promovieren. Für die Promotion müssen sie eine noch nie dagewesene Funktionalität bereitstellen, ein zuvor noch unbekanntes Phänomen erklären oder eine völlig neue Anwendung entwickeln. All das und der hohe Grad an Selbstbestimmung in der Forschung zieht offene, kreative Geister ungeheuer an! Bei uns wird von der technisch interessierten Avantgarde der Jugend oft monatelang getüftelt, bis der Öffentlichkeit dann eine neue Leistung präsentiert werden kann, die auch alltagstauglich ist. Denken sie zum Beispiel nur an das Einschalten der Ferienhaus-Heizung per Handy, an das Einchecken in große Computer-Netzwerke mit Hilfe einer Smart Card oder an die Nutzung des PDAs, des Personal Digital Assistants, als Fahrtenschreiber - alles Ergebnisse unserer Forschungs- und Entwicklungsarbeit."

Gut und schön. Aber Trier liegt nach wie vor an der Peripherie des High-Tech-Geschehens. Das muss doch für Sie ein Nachteil sein...

"Nein. Auf unseren wichtigsten Tätigkeitsfeldern wie netzbasiertes Informationsmanagement, Sicherheit in offenen Netzen und Systementwicklung brauchen wir zunächst einmal kein unmittelbares industrielles Umfeld. Für die Forschung sind enge Kontakte zur Uni und ihren Studenten wichtig - und die liegt praktisch vor unserer Haustür. Genauso wie der Flughafen Luxemburg, über den wir schnell zu den wichtigsten Entwicklungszentren, vor allem in den USA, gelangen können. Lediglich zu den Anwendern in der deutschen Wirtschaft dauert die Autofahrt manchmal etwas länger..."

Wie wichtig ist Ihnen ein guter Kontakt zur Wirtschaft?

"Oft findet man hier in Deutschland noch die Meinung, Wissenschaft und Wirtschaft seien unvereinbar. Wissenschaft sei nur dann gut, wenn sie keinen wirtschaftlichen Nutzen habe. Und wirtschaftliche Fragestellungen lohnten, da zu trivial, keine tieferen wissenschaftlichen Untersuchungen. Das Gegenteil ist richtig. Wer um den wirtschaftlichen Erfolg ringt, indem er Verfahren und Technologien verbessert, fördert zentrale Forschungsfragen viel treffender und schneller zu Tage, als der Forscher im abgeschiedenen Kämmerlein."

Sie betreiben im Institut für Telematik angewandte Forschung, sind dem Fraunhofer-Ideal verpflichtet. Ist solche Arbeit aber nicht oft bloß ein Aufguss der originären Grundlagenforschung?

"Ich habe selbst jahrelang Informatik-Grundlagenforschung betrieben. Deshalb glaube ich beurteilen zu können, dass angewandte Forschung nicht weniger spannend ist. In der theoretischen Forschung lege ich zum Beispiel die Randbedingungen selbst fest. Aber in der angewandten Forschung sind sie mir unverrückbar vorgegeben. Beide Forschungsarten dürfen den Kontakt zueinander nicht verlieren. Übrigens versuchen wir am Institut beides zu verbinden. Was bei den niedrigen Kosten für Computer, Handys, Netzzugang und Software glücklicherweise einfacher möglich ist, als etwa in der Physik..."

Wohin werden sich E- und M-Commerce entwickeln?

"Die Phase revolutionärer Veränderungen auf diesen Gebieten dauert an. Es ist ein echter Veränderungsstrudel. Schon in nächster Zeit werden diese technischen Veränderungen zu gesellschaftlichen und kulturellen Konsequenzen führen, die wir heute noch gar nicht absehen können. Für unser Institut ist es ein besonderer Reiz, an den Schaltstellen dieser Veränderung zu sitzen und die Entwicklung aktiv mitgestalten zu können."

Und die Zukunft des Instituts - wie wird die aussehen?

"In etwa fünf Jahren werden wir unsere kritische Größe erreichen. Ich rechne dann mit 50 Wissenschaftlern, 25 Doktoranden und vielen Hilfskräften. Wir werden uns, so hoffe ich, fest etabliert haben, international anerkannt sein und bei Wirtschaft und Politik über ein gutes Renommee verfügen."